Was ist Stress?

‘Stress’ ist allgegenwärtig in unserer Gesellschaft und Sprache. Gerade Jugendliche bezeichnen sämtliche negative Gefühle als Stress. Wir unterscheiden zwischen: negativem Stress (Distress) und positivem Stress (Eustress). Coping spielt beim Umgang mit Stress eine wichtige Rolle.

EUSTRESS

Wir bezeichnen als positiven Stress Umstände, in denen Körper, Psyche und Seele zwar stark beansprucht werden, jedoch von der Person bewältigt werden können. Schafft es die Person, das Problem durch Bewältigungsstrategien zu lösen, werden Glücksmomente empfunden. Auch langfristiger Eustress wirkt sich positiv auf Psyche und Körper aus. 

DISTRESS

Negativer Stress entsteht, wenn ein Mensch, den an ihn gestellten Anforderungen nicht gerecht werden kann und ihm die Fähigkeiten und Möglichkeiten fehlen, Situationen und Aufgaben zu bewältigen. Dauerhafter Stress wird als bedrohlich und unangenehm empfunden und kann krank machen. 

COPING

Dem Coping geht der Appraisal (Bewertung der Situation) voran. Der Umgang mit der Bedrohung wird ‘Coping’ genannt. Die Bewältigungsstrategie beschreibt den Umgang mit einer schwierigen Situation. Die Coping Muster hängen von den persönlichen, individuellen Eigenschaften einer Person ab. Verhaltensweisen, die eingesetzt werden bei Stress sind Aggression, Flucht, Angst, Verhaltensalternativen, Akzeptanz oder Verleugnung der Situation.

Stressoren

Stress gibt es in vielen Situationen des Lebens (Schule, Arbeit, Familie, Freizeit).

Stress wird durch sogenannte Stressoren ausgelöst. Es existieren verschiedene Arten von Stressoren. Stressoren sind innere und äussere Reize, die bei einem Menschen eine negative Reaktion hervorrufen.

Traumatische Stressoren:
 Krieg, Hunger, Armut, Gewalt, Verbrechen, Naturkatastrophen und Traumata aller Art.

Physikalische Stressoren:
Lärm, Hitze, Kälte, Nässe, Lärm, etc.

Stress in der Arbeitswelt
Zeitdruck Multitasking, Überforderung

Soziale Stressoren:

Beziehungsschwierigkeiten, soziale Isolierung, Mobbing



Neben den Stressoren, existieren ebenso Ressourcen zur Bewältigung von schwierigen Situationen:

RESILIENZ

Unter „Resilienz“ verstehen wir die psychische Widerstandskraft; die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen (Oxford Languages, 2021).

MENTALE STÄRKE

Der Begriff der „mentalen Stärke“ stammt aus dem Sport. Heute wird er jedoch im täglichen Leben und v. a. in der Psychologie eingesetzt. Wer mentale Stärke besitzt oder sich diese aneignet, kann seine Emotionen derart regulieren, dass er aus der Situation das Beste herausholt. Vereinfacht ausgedrückt: Auch in schwierigen Situationen wird das Positive erkannt.


Stresskonzepte

Es existieren 3 Stresskonzepte, die erklären, woher der Stress kommt und was während einer Stressreaktion im Körper und in der Seele vorgeht. 

Biologisches Stresskonzept von Seyle

Seyle (1936) geht vom biologischen Stressmodell aus. Fühlen wir uns durch eine Stressaktion bedroht, setzt im Körper ein Vorgang ein, der das Überleben begünstigt. Dabei werden die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol ausgeschieden. Sie stellen sicher, dass dem Körper Energie in Form von Zucker und Fett zur Verfügung gestellt werden, damit die Muskeln genügend durchblutet werden. 

Diese Reaktion machte v.a. in der Vergangenheit Sinn. Sie bewirkte, dass es möglich war in einer gefährlichen Situation (z.B., wenn ein gefährliches Tier vor einem Jäger stand) sofort zu handeln und entweder zu kämpfen oder zu flüchten. Auch heute gibt es noch Situationen, in denen uns diese schnell ablaufenden Stressreaktionen helfen.

Ist die Gefahrensituation dabei, kommt es zu einer Rückregulation der Vorgänge. Bei einer chronischen Belastungssituation werden diese Stresshormone über einen längeren Zeitraum gebildet und es kommt zu Symptomen. 

Transaktionsmodell von Lazarus & Folkman (1974)

Das transaktionelle Bewältigungssituation von Lazarus & Folkman (1974) sieht die Stressbewältigung von einem anderen Standpunkt aus. Dabei stehen die Wechselwirkungen zwischen den Anforderungen einer Situation und der Bewältigungsmechanismen (Ressourcen) einer Person im Fokus. 

Der Ablauf einer Stresssituation ist folgendermassen: 

Primäre Bewertung: Von der Person wird eine Einschätzung des Stresszustandes vorgenommen. Die Situation wird wahrgenommen und als positiv, gefährlich oder irrelevant eingeteilt. 

Sekundäre Bewertung: Danach werden in einem zweiten Schritt die eigenen Bewältigungsstrategien eingeschätzt. Es stellt sich die Frage: ‘Stehen mir genügend Strategien zur Verfügung, damit ich die Gefahr beseitigen kann?’ Wird diese Frage mit ‘Ja’ beantwortet, entsteht kein Stress. Bei einem Zweifel an der eigenen Fähigkeit, die Stressoren zu neutralisieren, gerät die betroffene Person in Stress.
 

Coping: Bei Stress können die Coping-Strategien in Gang gesetzt werden, um die bedrohliche Situation zu bewältigen wie Flucht, Anpassung des Verhaltens, Aggressionen oder Verleugnung der Tatsachen. 

Neubewertung: Im Umgang mit Stress lernt die betroffene Person, welche Strategie erfolgreich war und kann sie bei einer erneuten Situation wieder einsetzen.

Das Allostase Modell

Walter Common (1939) beschrieb das Prinzip der Homöostase. Eine Homöostase beschreibt ein Gleichgewicht eines biologischen Systems, das sich durch interne Faktoren selbst reguliert. Unser Körper ist ein solches System. In Stresssituationen wird unsere Homöostase destabilisiert. Danach werden Prozesse in Gang gesetzt, welche die Ursprungssituation wieder herstellen sollen. Dieser adaptive Prozess wird Allostase genannt. 

Das Stressmodell von Mc Even (1998) beschreibt die nicht vorhandene Homöostase während des Stressprozesses und die Herstellung der Homöostase nach Abflauen der Stressreaktion. Dieser Prozess dient dazu, das homöstatische Gleichgewicht zu erlangen, das vor dem Stressprozess vorhanden war.


Stress – ein ganzheitliches Phänomen

Wir verspüren Stress auf 4 Ebenen: der körperlichen, der kognitiven, der emotionalen und der Verhaltensebene. 

Körperliche Symptome:
 Schwindel-, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen, Reizmagen, Reizdarm, Sodbrennen, Muskelkrämpfe und Erschöpfung. 

Kognitive Blockade/Geist:

Schlechte Konzentrationsfähigkeit, Vergesslichkeit, Denkblockaden, schlecht abschalten können. 

Emotionale Ebene:          
gereizt, lustlos, unzufrieden sein, sich hilflos, überfordert und fremdbestimmt fühlen.

Verhaltensebene:       

Schlafschwierigkeiten, Rastlosigkeit, Antriebslosigkeit, sexuelle Probleme, Neigung zu Unfällen, Frustessen, erhöhter Konsum von Substanzen. 



Stress in der Partnerschaft

Bis vor 20 Jahren ging man davon aus, dass Stress personenzentriert sei; also das Individuum Stress erleidet und mit diesem je nach Resilienz, Coping, Bewältigungsstrategien mehr oder weniger zu kämpfen hat. Bodemann (2016) erforschte die Wirkung des Stresses auf die Partnerschaft und fand heraus, dass sich dieser nach gewisser Zeit auch auf die soziale Umwelt überträgt. 

Unter Stress ist man ungeduldiger, egozentrischer und schaut weniger auf die Bedürfnisse Gegenübers. Man reagiert gereizter, aggressiver. Dies auch in der Kommunikation. Durch aggressive Kommunikation ist die Chance der Konfliktbereitschaft erhöht.


Das 3-Stufen Modell der Kommunikation:

Kommunikation als wichtiger Faktor für stressfreie Beziehungen. Die grundlegenden Kommunikationsregeln stellte Watzlawick mit seinem Kommunikationsmodell auf.

Das 3-Phasen-Modell soll für eine strukturierte Kommunikation und eine wohlwollende Haltung dem Partner gegenüber sorgen. Es soll sicherstellen, dass die Person, welche über Probleme sprechen möchte, ausreden darf. Ebenso sollen Vorwürfe vermieden werden. Der Zuhörer sollte Interesse und Empathie zeigen und Lösungsvorschläge bringen.

Stufe 1:
Das Erzählen von Stressoren erfordert viel Mut. Die Erzählung sollte verständlich sein. Auf die Faktoren, weshalb die Situation belastend ist, sollte kurz eingegangen werden. Ich-Postulationen sind wichtig. Erklärt werden muss auch, weshalb die Situation als belastend empfunden wird. Der Partner hört interessiert zu und unterbricht nur durch kurze Fragen, die der Klärung dienen.

Stufe 2:
Der Partner teilt seine Gedanken zur Bewältigung des Stresses bei. Er macht Vorschläge, wie die Belastungen aus der Welt geschafft werden können.

Stufe 3:
Die gestresste Person gibt Feedbacks zu den gemachten Lösungsvorschlägen. Ebenso sollte ausgedrückt werden, ob die Hilfestellung befriedigend war. 

Viele Paare denken nicht darüber nach, dass eine Partnerschaft auch Arbeit bedeutet. Sie sehen die Liebe als etwas Gegebenes an, das ewig hält. Es gibt stets neue Entwicklungen, Veränderungen, an welche die Partnerschaft angepasst werden muss. Dafür benötigt man Zeit, Empathie, Geduld und Durchhaltewillen. Dabei unterscheiden wir zwischen paarinternen und paarexternen Stressoren. 


Stressfaktoren in einer Partnerschaft:

Der Partner genügt nicht
 

Unterschiedliche Bedürfnisse

           Untreue          

Sorge um den Partner



Erhöhter Stress in Schule und auf der Arbeit

Die Anforderungen steigen in Wirtschaft, Gesellschaft und Schule. Nicht erstaunlich, dass auch hier das Stresslevel zunimmt. 

In einer Studie stellte sich heraus, dass die jährliche Arbeitszeit pro angestellte Person in der Schweiz mit 42 Stunden, 24 Minuten pro Woche an der Spitze steht. 

Alarmierend sind die Folgen. Das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) veröffentlichte eine Studie, welche Auskunft gibt über die grössten Stress- und Burnout-Phänomene. Die stressbedingten Kosten wurden durch das SECO auf 4.2 Mia Schweizerfranken pro Jahr beziffert. Die Bilanz in Deutschland zeigt, dass der Stress und v.a. die psychisch daraus resultierenden Krankheiten (wie Angststörungen, Depressionen, Sucht, etc.) dazu führen, dass der Anteil von Menschen, welcher früher in Rente gehen, stetig zunimmt. 2012 waren 42.1% der gesundheitlich bedingten Ausfälle psychisch bedingt, bei den Frauen war der Anteil noch höher (BPTK-Studie, 2014).

Die wichtigsten Stressfaktoren in Zusammenhang mit der Arbeit:

   Termin- und Leistungsdruck

   Viel Verantwortung und wenig Mitbestimmung (high demand and low influence)

   Umstrukturierungen

   Grossraumbüros

   Existenzsorgen

   Soziale Konflikte

   Mobbing

   In höheren Positionen: Druck von zwei Seiten

Probleme in der Schullandschaft:

   Integratives Schulsystem und wenig Entlastung (Inklusion)

    Über- und Unterforderung von Schülern

   Mangelnde Grenzen zwischen Erziehungs- und Beschulungsaufgaben

   Lehrermangel

   Stärkere Belastung und mehr krankheitsbedingte Ausfälle bei Lehrern

   Schwierige Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrer

   Mobbing

Bewältigungsmodelle des Stresses:

Es existieren viele Bewältigungsmodelle zur Reduktion des Stresses. 

Bodenmann (2016) unterscheidet zwischen problembezogenen und emotionsbezogenen Strategien. Er geht dabei stets von den drei Determinanten «Bewältigungsstrategie», «Ziel» und «Wirkung» aus. 

Problembezogene Bewältigungsstrategien:

Es kann gewählt werden zwischen: 

   Aktive Einflussnahme

   Informationssuche

   Informationsunterdrückung

   Passivität

   Vermeidung

Emotionsbezogene Bewältigungsstrategien:

   Gefühlsberuhigung durch ruhiges Zureden

   Gefühlsberuhigung durch Substanzen und Aktivitäten

   Gedankenkreisen

   Umdeuten/Neudefinition

   Positives Selbstgespräch

   Selbstvorwürfe

   Fremdvorwürfe

   Humor

   Sport

   Suche nach sozialer Unterstützung

   Entspannungsübungen

Die gewählten Strategien wirken sich auf den Stressabbau aus.


Umformulierung von Glaubenssätzen

Bei der Frage, ob ein Stressprozess in Gang kommt, spielen die persönlichen Glaubenssätze eine wichtige Rolle. Es werden dabei mögliche Konsequenzen abgewogen und die persönlichen Ressourcen eingeschätzt.  Glaubenssätze, die wir erlernt haben, dienen selten dazu, dass unser Stresslevel abnimmt. 

Es gibt viele stressverstärkende Glaubenssätze, die im Laufe der Evolution entstanden sind und in der Kindheit aktiviert wurden. Sind diese stressfördernd, sollte eine Umformulierung vorgenommen werden. 

Die Umdeutung in positive, wohlwollende Sätze erfolgt in drei Schritten: 

Umformulierung von Glaubenssätzen

1. Identifizierung des alten Glaubenssatzes

2.  Anerkennung des Glaubenssatzes, bzw. Anerkennung, dass im Erwachsenenalter mehr
      Ressourcen vorhanden sind und diese stressverstärkenden Glaubenssätze umformuliert werden müssen

3.  Aktualisierung des Glaubenssatzes: Durch die Umformulierung wird aus einem stressverstärkenden
      Satz ein stressvermindernder Glaubenssatz 


Der Zweck dieser Glaubenssätze zu eruieren ist sehr wichtig. Dazu wird die Frage gestellt: «Hilft mir dieser Satz noch bei der Bedürfniserfüllung oder bekomme ich durch ihn mehr Stress?» Wenn einem Kind in der Kindheit eingetrichtert wird, es solle sich beeilen, damit es nicht zu spät in die Schule kommt, wird abgespeichert: »Ich muss mich beeilen.» Im Erwachsenenleben wird nach diesem Grundsatz gehandelt und es wird weiterhin Stress verursacht. Daher ist es wichtig, dass neue Glaubenssätze gestaltet und integriert werden. Es ist nicht einfach, Gedanken, die jahrzehntelang vorherrschend waren, zu verändern.

Zusammenfassung

Stress ist vielschichtig. Er ist nicht bedrohlich, wenn er positiv ist, bewältigt werden kann oder kurzfristig existiert. Negativer Stress entsteht durch die Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol über lange Zeit, wenn Stressoren nicht bewältigt werden können. Es muss kein Stress entstehen, auch bei einer Gefahrensituation. Erst wenn ein Individuum eine Situation als gefährlich einschätzt und das Gefühl hat, ihm stünden zu wenig Ressourcen zur Verfüung, entsteht Stress. Kann die Homöostase auf lange Zeit nicht hergestellt werden, entstehen Reaktionen im Körper, auf der Gefühlsebene und im Verhalten. Stress ist nicht auf ein Individuum bezogen, sondern überträgt sich auf die soziale Umgebung. Wichtig ist u.a. die positive Kommunikation in einer Partnerschaft. Durch höhere Anforderungen in der Arbeitswelt und der Schule wird das Stresslevel erhöht. Es existieren sowohl persönliche Ressourcen zur Stressbewältigung wie Resilienz, mentale Stärke und Coping Strategien als auch diverse Stressbewältigungsprozesse.